Auswahl Schütz-Werke-Verzeichnis
Ihre Auswahl: Schütz-Werke-Verzeichnis 175
Originaltext
Psalm 78
1. Hör, mein Volk, mein Gesetz und Weis, Dein Ohren neig und merk mit Fleiß, Was mein Mund sagt in Sprüchen, Ich will zu singen heben an Und sagen, was ich weiß und kann Von uralten Geschichten. 2. Was uns die Väter haben gsagt, Soll auf die Kinder werden bracht Und die so nach uns kommen, Damit des Herren Ehr und Ruhm, Sein Wundermacht und herrlichs Tun Auch von ihn’n werd vernommen. 3. Er richt in Jakob auf den Bund, Gab das Gesetz und machte kund, Was man soll allzeit lehren, Auf daß man’s wüßt zu Kindeskind, All die gewesen und noch sind, Auch künftig gboren werden. 4. Damit ihr Hoffnung stünd zu Gott Und hielten fleißig sein Gebot, Merkten auf seine Taten Und schlügen nicht den Vätern nach, Von denen allzeit ging die Klag, Daß sie warn ungeraten. 5. Es war ein abtrünnige Art, Der Herz nie recht erfunden ward, An Gott nie treulich hielte, Gleichwie die Kinder Ephraim, Mit Harnisch und mit Bogen schlimm, Zur Zeit des Streits abfielen. 6. Den Bund Gottes sie achten nicht, Ihr Wandel war auch nicht gericht, Sein heiligs Gsetz zu halten, Bei ihnen ganz vergessen war, Was Gott getan hat offenbar Durch Wunder mannigfalte. 7. Durch Wunder Gott sich macht bekannt Den Vätern in Ägyptenland, Er bracht sie in die Wüsten, Er teilt das Meer, ließ sie durchgehn, Es mußt gleich wie ein Mauer stehn, Durft nicht zusammen fließen. 8. Er leitet sie des Tages fort In einer Wolk an alle Ort, Des Nachts im Feuer helle, Zerreiß die Felsen in der Wüst Und tränket sie mit Wasse süß, Das er ihn’n gab die Fülle. 9. Die Wasserström und frische Quell Aus hartem Fels auf sein Befehl Mußten gen Tal einfließen, Noch fuhren sie in Sünden fort, Erzürneten, Gott, ihren Hort Zum öftern in der Wüsten. 10. Ihr Herz versuchte Gott den Herrn, Für ihre Seel Speis zu begehrn, Murrten sie mit den Worten: Ja, sollt es Gott wohl müglich sein, Ein Tisch anrichten in gemein An so gar wüsten Orten? 11. Er hat wohl eh den Felsen hart Geschlagen, daß er wider Art Wasser hat müssen geben, Wo kann er aber nehmen Brot Und Fleisch zu essen an dem Ort, Davon wir können leben? 12. Solchs mußt der Herr, ihr Gott, anhörn, Darob entbrannt sein grimmig Zorn, Daß die Leut böser Arte Nicht gläubeten an ihren Gott, Hofften auf ihn nicht in der Not, Der Hülf sie nicht erwarten. 13. Er gab den Wolken auch Befehl, Tät auf des Himmels Türen schnell, Ließ Manna auf sie regnen Und gab ihnen vom Himmel Brot, Das Engelbrot sie aßen fort, Die Füll ihnen begegnet. 14. Er ließ herwehn von Ost geschwind Unter dem Himmel, auch Südwind Erregt er durch sein Stärke, Wie Staub Fleisch regnet’s hin und her, Der Vögel viel wie Sand am Meer Mit großem Wunderwerke. 15. Untr ihrem Lager allenthalb Und da sie wohnten überall Fiel es für ihre Füße, Zu essen Fleisch ein jeder hat, Und wurden davon alle satt, Ihr Lust ließ er sie büßen. 16. Da nun die Lust gebüßet war Und sie’s noch nicht verschlungen gar, Kam unter sie Gotts Zorren Und riß die Fürnehmsten dahin, Er schlug in seinem Zorn und Grimm Die, so die besten waren. 17. Noch war damit nichts ausgericht, Sie glaubten Gottes Wunder nicht Und ließen nicht von Sünden, Drum er sie auch hinsterben ließ, Das Erbe, so er ihn’n verhieß, Konnten ihr viel nicht finden. 18. Ihr Leblang wurden sie geplagt, Da sie Gott würgt, ihr Herz gedacht, Nun wollten sie umkehren, Sie suchten früh Gott, ihren Hort, Der Höchste, ihr Erlöser, fort Sollt ihr Gebet erhören. 19. Doch war es nichts denn Heuchelei, Sie logn mit ihren Zungen frei Aus einem falschen Munde, Ihr Herz nicht feste war an ihm, Falsch war ihr Gmüt, unstet ihr Sinn, Wichen von Gottes Bund. 20. Dennoch der Herr barmherzig war, Vertilget sie nicht ganz und gar, Vergab ihnen die Sünde Und wendet ab sein großen Zorn, Daß er sie nicht mußt gar verstörn, Er ließ sie Gnade finden. 21. Denn er gedacht, daß sie Fleisch sind Und fahren hin gleich wie der Wind, Der nicht herwieder kehret, Darum den Zorn er fahren ließ, Ob sie ihn oft gleich in der Wüst Beleidigten gar schwere. 22. Gott sie versuchten stets aufs neu, Den Heilgen in Israel frei Zu meistern sie begehrten, Gedachten nicht an seine Hand, So die Gefängnis abgewandt, Drinn sie der Feind beschwerte. 23. Durch Zeichen in Ägyptenland, Zu Zoan Gottes Macht bekannt Bewiesen hat groß Wunder, Das Wasser ward in Blut verwandt In allen Strömen durch das Land, Niemand draus trinken kunnte. 24. Giftige Kröten ein groß Heer Und ander Ungeziefer mehr Schickt Gott, sie zu verderben, Ihr Gwächs die Raupen fraßen ab Und die Heuschrecken alle Saat, Niemand kunnt es erwehren. 25. Der Hagel schlug am Stock den Wein Und die Schloßen die Maulbeerbäum, Das Vieh wurd auch erschlagen Vom Hagl und Ungewitter schwer, Die Strahlen fuhrn durchs Land daher, Das Feld voll Toten lage. 26. Im Zorn er böse Engel fand, Zu wüten, toben in dem Land, Groß Herzleid sie anrichten, Sein Zorn er immer fort ließ gehn, Ihr Seel in Todesangst mußt stehn, Ihr wurd verschont mitnichten. 27. Das Vieh starb an der Pestilenz, Es wurde in derselben Grenz Die Erstgeburt erschlagen, In ganz Ägypten Mensch und Vieh, In Hams Hütten erhört man nie Mehr Jammer, Leid und Klagen. 28. Der Herr, als ein getreuer Hirt, Sein Volk gleich wie die Schaf ausführt, Zur Wüsten er sie leitet, Er führt sie sicher ohne Fahr, Die Feind das Meer bedecket gar, Da bleib Wagen und Reiter. 29. Zu diesem Berg ans heilig Land Bracht er sie durch sein starke Hand, Den Feinden wurd’s genommen, Gott trieb die Feind von Hof zu Haus, Das Land zum Erbe teilt er aus, Ließ Jakobs Stämm drin wohnen. 30. Noch hielten sie sein Zeugnis nicht, Versuchten Gott, fielen zurück, Ihr Buß war all erlogen, Verachten alls auf frischer Fahrt Nach ihrer bösen Väter Art, Hielten wie lose Bogen. 31. Zu Zorn sie reizten ohne Scheu Den Höchsten durch Abgötterei, Drinn sie kein Fleiß nicht sparten, Darum auch Gott, im Zorn entbrannt, Verwarf Israels Volk zuhand, Ließ Jakobs Hütten fahren. 32. Die Wohnung, die zu Silo war, Verließ er und verschlug sie gar, Da er zuvor gewohnet, Ins Gfängnis gab er ihre Macht, Ihr Herrlichkeit, ihrn Ruhm und Pracht, Feindshand mußt ihr nicht schonen. 33. Er war entbrannt über sein Erb, Darum durchs Schwert er sie verderbt, Im Zorn tät er aufreiben Ihr stolze Mannschaft jung von Jahrn, Auch die Jungfraun, so mannbar warn, Mußtn ungefreiet bleiben. 34. Die Priester durchs Schwert kamen um, Ihr Witwen gingen schnell dahin, Kunnten sie nicht beweinen, Darum der Herr vom Schlaf erwacht Und wie ein Starker jauchzt mit Macht, Wenn er heimkommt vom Weine. 35. Die Feinde er in Hintern schlug, Hängt an sie ewig Schand und Fluch, Verwarf auch Josephs Hütten, Ephraim ward gesetzt hintan, Der Herr erwählet Judä Stamm, Der Berg Zion ihm liebet. 36. Sein Heiligtum er bauet wohl Wie ein Land, das fest stehen soll Und bleibn zu ewgen Zeiten, Er wählet David seinen Knecht, Von Schafställen nahm er ihn weg, Da er der Säugling weidet. 37. Er setzet ihn über sein Volk, Israels Erb er weiden sollt, Er weidet sie mit Treuen, Mit aller Treu und großem Fleiß Regiert er sie zu Gottes Preis, Darob das Land sich freuet. [NSA Bd. 40]
Entstehung
Nach Heinrich Schütz’ „Provisionierung“ (= Versetzung in den Ruhestand zur besonderen Verfügung des Hofes in Dresden; Dellin, S. 341) widmete er sich seinen Musikalischen Werken. In der 2. Hälfte
des Jahres 1660 begab er sich nach Dresden, wo Schütz durch die Revision des Beckerschen Psalters - Johann Georg II. drängte bereits auf die Vollendung dieses Opus - aufgehalten wurde, obwohl er -
„die Wahrheit zu bekennen“, wie es im Widmungsbrief an den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel heißt - seine „übrige kurze Lebenszeit“ lieber mit
der Revidierung und Vollendung anderer angefangener Sachen (seine rezitativischen Großwerke: Passionen) und sinnreicherer Erfindungen hätte anwenden wollen. (Dellin S. 343f.) Am 10. April 1661 brachte Schütz den Beckerschen Psalter an Herzog von Braunschweig auf den Weg.
Zu Schütz Lebzeiten erschienen drei Ausgaben des Psalter nach Cornelius Becker: 1628 der Originaldruck der Erstfassung (als Opus quintum in SWV von 1647), eine inhaltlich damit identische Neuauflage
(Güstrow 1640) und schließlich die von Schütz selbst erweiterte und revidierte Zweitfassung (Dresden 1661, SWV Opus Decima quarta). Zur Entstehungsgeschichte der Psalmen
Davids / Hiebevorn in Teutzsche Reime gebracht / durch D. Cornelium Beckern / Und an jetzo [...] nach gemeiner Contrapunctsart in 4. Stimmen gestellet / durch Heinrich Schützen [...] ist nur soviel bekannt, wie der Autor in
seinen Vorreden bzw. im Widmungstext an die Kurfürstin-Witwe Hedwig sich selber äußerte. Seine Haltung und Bewertung gegenüber der Vertonung des vollständigen deutschen Reimpsalters (erschienen 1602 nach dem
Leipziger Theologen Cornelius Becker) beschreibt Werner Breig in seinem Vorwort zur Ausgabe als ambivalent. Einerseits begrüßte Schütz das Ziel Beckers und schrieb auch noch in seinem Vorwort von 1661, dass er die geistreiche Paraphrasin oder Außlegung ausdrücklich bejahe und gewürdigt habe. Andererseits stand er der musikalischen Einkleidung der Psalmlieder, wie sie sich Becker vorstellte und wie sie auch
umgesetzt wurde, nicht ohne Kritik gegenüber. Beckers Originalausgabe war ohne Melodien erschienen, dafür aber im Versmaß so gedichtet, dass die Texte strophenweise auf bekannte Melodien des lutherischen
Kirchenliedrepertoires zu singen möglich waren. Diese für Schütz unangemessene, unbefriedigende Art für die Praxis des Kirchenliedes veranlasste ihn, seine eigenen vierstimmigen Sätze für Beckers
Psalmendichtungen zu schaffen. Bis auf ein paar Ausnahmen, bei denen Becker selbst Dichtungen aus der älteren Tradition des lutherischen Psalmliedes verwendete und Schütz auf die dazugehörigen Melodien zurückgriff,
wurde die „geborgte“ musikalische Einkleidung durch eine eigene ersetzt.
Die Gesamtvertonung des Psalters war nicht von vornherein so geplant, sondern diese Lieder waren für den Hausgebrauch gedacht. Von mehreren Seiten erhielt Schütz die Aufforderung, den Psalter zu vervollständigen. Der
Erstdruck erschien 1628 und wurde der Kurfürstin Hedwig gewidmet.
Nach dem Regierungsantritt Johann Georgs II. wurde Schütz von diesem veranlasst, den Psalter zu überarbeiten. In seiner Vorrede an den geneigten Leser schrieb er, dass der Churfürst auf den Gedanken
gekommen [sei] und beschlossen hat, diese Buch in seinen Landen bekannt zu machen und in Kirchen und Schulen einführen zu lassen... So habe ich mich nicht allein zu fleißiger Revision dieser meiner früheren Arbeit, sondern
auch dahin erkläret, dass alle Psalmen, welche mit besonderen [eigenen] Melodien noch nicht bekleidet wären, ich damit zu versehen bemüht sein wollte. (Vorwort der NSA, Breig, S. IX f.)
Analyse
Das Beckersche Psalter (SWV 97a - 256a) besteht aus durchweg vierstimmigen, strophisch gebauten Psalmenvertonungen, deren Texte der Leipziger Theologe Cornelius Becker 1602 herausgab. Diese Texte waren ohne Melodie, jedoch in ihrer Versdichtung so angelegt, dass bekannte Melodien des lutherischen Kirchenliedrepertoires darauf gesungen werden konnten. Heinrich Schütz versah jeden Text, bis auf einige Ausnahmen, mit einer neuen, vierstimmig gesetzten Melodie. Er vertonte das erste Drittel des Psalter (Psalmen 1-51) lückenlos; die Psalmen 52 bis 150 sind nur noch zur Hälfte mit eigenen Melodien ausgestattet; die unvertonten Gedichte erhielten einen Verweis auf Stücke mit metrisch gleicher Struktur.
Rezeption
Die Vertonung der deutschen Reimpsalter von Cornelius Becker ist das erfolgreichste Werk des Komponisten Heinrich Schütz, wenn man es an der Zahl der Druckauflagen im 17. und frühen 18. Jahrhundert misst. Bereits
zu Schütz’ Lebzeiten erschienen drei Auflagen - 1628, 1640 und 1661. Nach dem Tod des Chursächsischen Hofkapellmeisters gab sein Schüler Christoph Bernhard 1676 eine Version für Melodie und Generalbaß als 1.
Teil des Dresdner Geistreichen Gesangbuchs heraus. Auch im Weißenfelsischen Gesangbuch von 1712 sind einige Sätze zu finden, die auch wieder auf Melodie und Generalbassstimme reduziert wurden.
Auch heute noch ist der Becker-Psalter eine Sammlung, die weite Verbreitung findet vor allem im Laienchor- bzw. im Kirchenchorbereich. Es handelt sich bei dieser Sammlung um Gebrauchsmusik im besten Sinne des
Wortes, die „nur“ zugänglich wird, indem sie selber praktiziert / gesungen wird. Eine Einspielung des Becker-Psalter liegt bis heute nicht vor und wird es sicherlich nie geben, nicht nur auf Grund
der Fülle an Einzelstücken mit zum Teil sehr vielen Strophen.
originale Widmung
Kein Inhalt vorhanden.
übersetzte Widmung
Kein Inhalt vorhanden.
Widmungsträger
Den Becker-Psalter, ein für Schütz dahingehend sehr persönliches Werk - es dienten ihm Musik und Wort zur Aufarbeitung seiner Trauer um seine Frau (Daher ich dann [...] an dies Arbeit als eine Trösterin meiner Traurigkeit allerwilligst gangen bin.) -, widmete er der Fürstin Hedwig, der Witwe Christians II. Nach dessen Tod übernahm sein Bruder, Johann Georg I., die Amts- und Regierungsgeschäfte am Dresdner Hofe. Das Datum der Dedikationsschrift ist nicht zufällig gewählt; damit erinnert Schütz an den 2. Todestag seiner Frau Magdalena am 6. September 1627. Die Widmung an Fürstin Hedwig scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich; Schütz hatte jedoch seine Gründe. Krause-Graumnitz spricht von ganz praktisch-nüchterner Erwägung, die Schütz zur Dedikation (Bd. I, S. 356) bewogen haben könnte; er wußte, daß dieselbe nebenst andern Geistlichen Liedern auch zu diesen D. Beckers Psalm-Büchlein eine sonderliche grosse beliebung vnd zuneigung tragen/solches [...] täglich gantz fleißig üben vnd singen lassen, wie es in der Dedikationsschrift steht. Andererseits war die Zuneigung gegenüber der Kurfürstin-Witwe auch ein Zeichen seiner schuldigen Dankbarkeit für die Wohltat, die sie Schütz beim Erwerb seines Hauses in Dresden am Neumarkt 12 erwies.
originale Vorrede
Wohlgeneigter Leser.
AUs was Ursachen Ich hiebevor / und zwar für nunmehr fast langer Zeit / veranlasset worden sey / über D. Beckers sel. Psalm-Büchlein / anfänglich zwar nur etliche wenige Melodeyen aufzusetzen / hernacher aber dasselbige
Buch mit zwey und Neuntzig neuen und eilf alten Weisen / in öffentlichen Druck kommen zu lassen / ist bei der Anno 1628. zu Freyberg bey Georg Hoffmann in Octavo gedruckter Edition zu befinden / und mit mehrem zu vernehmen. Dieweil
aber nach der Zeit solche meine / an sich selbst zwar geringe Arbeit / an unterschiedenen Orthen zimlich bekant und gebraucht / auch dergestalt beliebet worden / daß der Weyland Durchlauchtige / Hochgeborne Fürst und Herr / Herr
Adolph Friedrich / Hertzog zu Mecklenburg etc. seligsten Andenckens / dieselbige Anno 1640. zu Güstrow durch Johann Jägers Erben daselbst auffs neue wieder hat aufflegen und in Qvarto gar zierlich außgehen lassen / Ferner
auch der itzo Regierende Durchlauchtigste Churfürst zu Sachsen und Herr / Herr J o h a n n G e o r g e d e r A n d e r e dieses Nahmens etc. Mein gnedigster Herr / bey für wenigen Jahren angetretenen
Regierung (aus bekantem Eifer / Gottes Lob auch durch eine ansehnliche Kirchen-Music auff allerhand Manieren / nach dem Exempel der Gottseligen Könige / Davids / Josaphats / Josias und andern / zu befördern / auff die
ChristFürstliche Gedancken kommen und schlüssig worden / solch Buch in dero Churfürstenthum und Landen auch bekannt zu machen / und in Kirchen und Schulen einführen zu lassen / dahero mir auch gnedigst anbefohlen /
dasselbige noch einmahl zu übersehen / und meinem Gutachten nach zu verbessern / Alß habe (solchem gnedigsten Befehl zu schuldigster Folge) Ich mich nicht alleine zu fleissiger Revision dieser meiner vorigen Arbeit / sondern
hierüber auch dahin gehorsamlich erkläret / daß alle die übrigen Psalmen / auch welche mit absonderlichen Melodeyen noch nicht bekleidet wären / Ich damit zu versehen bemühet seyn wolte. Welches denn nach dem
von GOTT mir verliehenen Talent mir endlich auff solche Maße gelungen ist / wie dieses gegenwärtige Werck außweisen wird / wovor Ich an meinem Orth eintzigen Ruhm nicht begehre / sondern für meine höchste
Vergnügung es schätzen würde / wenn diese meine Arbeit zu Außbreitung der Ehre und Lobes unsers grossen und gnedigen GOttes im Himmel / zu schuldigen Danck für seine täglich und augenblicklich über
unsere Seelen und Leiber waltende Gnade und Barmhertzigkeit / in fleissigen Gebrauch kommen und gerathen möchte / Solte je etwas alhier zu finden seyn / daß einige Annehmligkeit nach sich ziehen / und diese Arbeit bey einem und
andern beliebet machen möchte / So ist dasselbe nicht meinem vermögen / sondern allein S. Churf. Durchl. Christlicher Anordnung und gnedigsten Befehl zu zuschreiben / alß welcher mich hierzu veranlaßet / und zu mir
obliegenden pflichtschuldigen gehorsam angetrieben hat / der Ich sonst (die Warheit zu bekennen /) meine übrige kurtze Lebenszeit / lieber mit Revidirung und complirung etlicher / vor diesem unterschiedlich von mir angefangenen
andern / und mehr Sinnreichen Inventionen / hätte anwenden wollen. Worbey Ich aber mit Stillschweigen nicht übergehen kan / daß / nach dem dieses Werck albereit von mir mit allen Melodeyen fertig gewesen / Ich in erfahrung
kommen / auch zum theil in Druck selbst gesehen und gelesen habe / wie von etlichen Modernen oder heutigen Poeten / die Poesie dieses Buchs / als denen Fundamenten dieser Kunst an vielen Orthen entgegen / zimlicher massen angezogen und
perstringiret worden. Welches denn die Wahrheit zu bekennen / mich auch fast stutzig gemacht / und die Außlassung dieses Buchs eine zeitlang gehemmet oder zurück gehalten hat. Biß Ich endlich von fürnehmen und
verständigen Leuten unterrichtet worden bin / daß in dergleichen Kirchen-Gesängen nicht so wohl auff die künstlichen Poetischen Sätze / aus auff eine geistreiche Paraphrasin oder Außlegung zu sehen wäre
/ alß welche billich hierinne den Vorzug hätte und den Meister spielete. In erwegung daß nemlich durch dergleichen gute Außlegung / unsere Gedancken dergestalt in eine beständige Andacht entzückt gehalten
würden / daß Wir die Poesie so genau nicht oberservirten / Wir uns auch in singen besser vergnügen lassen könten / wenn die Worte einen recht Teutschen Idiomati nicht ungleich fielen / als mit einer harten Poesie /
worinnen das gut teutsche Idioma mehrmals übergangen würde. Dieweil denn nun dieser Autor oder Tichter bey den meisten Evangelischen Kirchen dißfals albereit ein sonderbahres Lob und zwar bevorab daher erlanget / in dem Er
seine Außlegung auff unsern Einigen Erlöser und Seligmacher JEsum CHristum (auff den alle Propheten und Aposteln / ja die gantze Heilige Schrifft alleine ziehleten /) gantz andächtig und fleissig eingerichtet hätte
/Uber dieses auch seine Psalmen vorhin überal bekand / in vielerley Formaten in offentlichen Druck außgegangen / und fast in jedermans Händen und Gebrauch wären / so solte an meinem Vorhaben Ich mich keines weges irre
machen / sondern Churfürstl. Anordnung gemeß / die Außfertigung dieses Wercks sonder ferner Bedencken fortgehen lassen / Wordurch Ich denn bewogen worden / solchem mir gegebenen beweglichen Rath eine schuldige Folge zu
leisten / und meine eine Zeit lang / aus gemelter Ursache / davon abgezogene Hand wieder anzuschlagen. Worzu mich denn auch weiter angefrischet / in dem Ich zugleich erinnert worden / daß auff allen Fall diese meine Melodeyen / auch
noch über andere heutiges Tages / GOTT Lob / hochgestiegene Teutsche und Lateinische Poesie und Gesänge / welche in gleichen Genere Poeseos wie diese Psalmen auffgesetzet wären / nach eines oder des andern Beliebung / ebener
massen auch nicht übel zu gebrauchen seyn würden. Welches denn eines jedwedern Gelegenheit anheim gegeben wird. Der Getreue GOTT wolle zu diesen letzten betrübten Zeiten / sein heilges / reines / und unverfälschtes Wort
in Kirchen / Schulen / und bey einem jedwedern Hauß-Vater in seinem Hause / wie durch seine Gottselige Lehre / also auch durch Geist und Trostreiche Lieder und Psalmen reichlich wohnen lassen / biß zu seines Lieben Sohnes
unsers Erlösers und Seligmachers herbey nahenden gewüntschten Zukunfft / damit Wir desselben in Liebe / Gedult / und frölicher Hoffnung erwarten / und zu Derselben stets bereit erfunden werden mögen.
AMEN.
AUTHOR.
[in: Erich H. MÜLLER: Heinrich Schütz. Gesammelte Briefe und Schriften, Regensburg o. J. (1930), S. 268 - 272]
Vorbemerkung Becker’sche Psalter
Lectori benevolo S. P.
Demnach auff vielfältiges Guttachten / zu meinen über D. Beckers Seeligen Psalmbuch von mir gestelleten / und jüngsthin zu Dreßden in Folio heraus gekommenen Melodeyen / Ich auch einen Bassum Continuum vor die
Organisten verfertigen und zugleich mit an das Tagesliecht habe sollen kommen lassen / So habe dabey Ich wohlmeynende zu einer kleinen Nachrichtung berichten wollen / daß solche Arien / meiner wenigkeit nach / über die Modos
Musicos und zwar die meisten in ihrem gebräuchlichen Systemate [etliche wenig außgenommen / deren Transpositiones der gelehrte Musicus wohl erkennen wird] auffgesetzet habe. Dieweil denn umb besserer Beqvemligkeit der Cantoreyen
willen / solche Modi offtermals transponiret werden müssen / wie bekant ist / so habe Ich dahero in auffsetzung dieses gegenwertigen Continui, eine solche Ordnung gehalten / und anfangs zwar jeglichen Psalm in seinem Systemate, wie er
in dem gedruckten Psalmbuch zu befinden und gezeichnet stehet / voran / und hier auff eine und die ander Transposition darunter angedeutet.
Ob nun dieses zwar eine schlechte Arbeit und geringe Sache scheinet / so vermeine ich doch / daß die heutiges Tages auff- und sehr in Gebrauch gekommene Verrückung der alten Modorum, aus ihren natürlichen Chorden [nemlich
die Verkehrung des b Moll in das # oder b dur, und vice versal aus diesen meinen angedeuteten Transpositionen etlichen [aus welchem alten Modo nemlich dieselbigen entspringen und was Clausulis formalibus solche Compositionen zu stellen /]
zimlicher massen zuersehen derogleichen Transpositiones denn auch numehr durch andere Chorden leichtlich zu ersinnen seyn werden / Alldieweil Ich alhier nur dero Gattung anführen wollen / welche etwa bey Gebrauchung dieses Wercks / an
einen oder den andern Orth beqvem fallen möchten. Der gönstige Leser wolle diese geringe Erinnerung [zu welcher Ich insonderheit ümb erfüllung dieses Blätleins willen veranlasset worden bin /] im guten vermercken /
und sich wohl gehaben.
Author.
[in: Erich H. MÜLLER: Heinrich Schütz. Gesammelte Briefe und Schriften, Regensburg o. J. (1930), S. 272 - 273.]
Nachwort zu Becker’sche Psalter
Zum Beschlusz.
Werden die jungen anfahenden Organisten / und welche den Bassum Continuum ex tempore aus einem Clave in den andern zuversetzen nicht geübt seynd, hiebey erinnert / daß Sie die allhier bey einem und dem andern Psalmen
nachgesetzten transpositionen, in denselbigen Clavem, aus welchem Sie zu spielen gedencken [und der Ihren Chor oder der Gemeine am besten anstendig /] gantz hindurch anders / in die Noten / oder aber in ihre Tabulatur abzuschreiben / sich
belieben lassen wollen. Sintemahl solche Transpositionen bey Gebrauch dieses Werckleins [bevorab in denen hochgezeichneten Systematis] offtermals nicht alleine hochnöthig / sondern auch der Cantorum Stimmen beqvem / und dem Gehör
desto angenehm fallen. Welche aber alle und jede in specie diesem Drucke bey zufügen / für unnöthig befunden worden / in erwegung daß auch nur etlicher massen geübte Organisten /diese kurtze und schlechte
Continuos ohnschwer von sich selbst aus einem Clave in den andern / werden transportiren und anbringen können.
[in: Erich H. MÜLLER: Heinrich Schütz. Gesammelte Briefe und Schriften, Regensburg o. J. (1930), S. 273 - 274.]
übersetzte Vorrede
Kein Inhalt vorhanden.
Quellenangaben Sound
Es liegt keine Einspielung vor.
Quellenangaben Noten
Heinrich Schütz: Der Becker Psalter. Erstfassung 1628. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 40, Werner Breig, Kassel, 1988
Quellenangaben Bild
Titelbild, Der Becker Psalter, Erstfassung 1628. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 40, hrsg.: Werner Breig, Kassel 1988, Archiv Heinrich-Schütz-Haus Bad Köstritz
Porträt, Kurfürst Johann Georg II, Druckfaksimile, Johann Frentzel, Archiv Heinrich-Schütz-Haus Bad Köstritz
Quellenangaben Literatur
Martin Gregor-Dellin, Heinrich Schütz. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, München, 1984
Otto Brodde, Heinrich Schütz. Weg und Werk, Kassel, 1972
Michael Heinemann, Heinrich Schütz und seine Zeit, Laaber, 1993
Heinz Krause-Graumnitz, Heinrich Schütz. Sein Leben im Werk und in den Dokumenten seiner Zeit., 2 Bände, Leipzig, 1985
Erich H. Müller, Heinrich Schütz. Gesammelte Briefe und Schriften, Regensburg o. J., 1930
Werner Breig, Vorwort, in: Heinrich SCHÜTZ: Der Becker Psalter. Erstfassung 1628. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 40, S. IX-XII, Werner Breig, Kassel, 1988